Rastersondenmethoden

Wer nicht sehen kann, muss sich nicht unbedingt eine Brille zulegen: In einigen Fällen ist es vorteilhaft, seine Umwelt zu ertasten. Genau das machen Rastersondenmikroskope: Sie ertasten ihre Umwelt mit feinsten und zum Teil hochspezialisierten Sonden. Dabei ist es nicht nur möglich, Oberflächenstrukturen bis aufs Atom genau sichtbar zu machen, sondern Rastersondenmikroskope erfühlen auch Materialeigenschaften wie Magnetismus, elektrische Leitfähigkeit, Adhäsion (Klebrigkeit), Rauhigkeit, Elastizität und einiges mehr. Außerdem können Rastersondenmikroskope unter den unterschiedlichsten Umgebungsbedingungen betrieben werden: im Vakuum, in Luft oder diversen Gasen, in Flüssigkeiten, in Magnetfeldern, in elektrischen Feldern oder bei unterschiedlichen Temperaturen. Die Rastersondenmikroskope lassen sich grob in zwei Familien aufteilen: Rastertunnelmikroskope und Rasterkraftmikroskope. Alle anderen Typen sind an die Grundprinzipien dieser beiden Techniken angelehnt.

Rastertunnelmikroskopie
Rastertunnelmikroskope messen einen schwachen Strom, der zwischen Sonde und Probenoberfläche fließt. Da sich Probe und Sonde nicht berühren, dürfte hier eigentlich kein Strom fließen. Aber im Nanokosmos gelten andere Gesetze. Nähern sich Sonde und Probe auf nur wenige Atomdurchmesser, dann fließt ein "Tunnelstrom", der dieser Mikroskopie auch seinen Namen gegeben hat.
Das Besondere am Tunnelstrom: Er reagiert äußerst sensibel auch auf kleinste Abstandsänderungen zwischen der Sonde des Mikroskops und der Probe.
Der Tunnelstrom wird daher fast ausschließlich vom Abstand des äußersten Sondenatoms zum nächstgelegenen Atom oder Molekül der Probe bestimmt. Dadurch kann aus dem Tunnelstrom Punkt für Punkt ein Abbild der Oberfläche bzw. der elektronischen Eigenschaften der Probenoberfläche rekonstruiert werden.

Exponat "Rastertunnelmikroskop"

Rastersondenmikroskope sind nicht sehr groß. Was sie im Labor so gewaltig erscheinen lässt, ist in der Regel nur die Hülle des Gerätes, die es zum Beispiel ermöglicht, bei sehr tiefen Temperaturen zu messen. Das abgebildete Mikroskop wurde von dem Physiker Bernd Zenker während seiner Diplomarbeit konstruiert und ist in der Lage, einzelne Atome sichtbar zu machen.

Anwendung: Abbildung der Oberflächenstruktur und elektrischer Eigenschaften von leitfähigen festen Materialien bis aufs Atom genau.

Universität Hamburg, Fachbereich Physik
Arbeitsgruppe "Rastersondenmethoden" von Prof. Dr. R. Wiesendanger
Internet: http://www.nanoscience.de

Exponat "Schüler-Rastertunnelmikroskop"

Mit dem abgebildeten Bausatz können auch Schulklassen oder geübte Laien ein Rastertunnel- oder ein Rasterkraftmikroskop bauen. Dieser Bausatz wurde an der Koordinationsstelle Münster des Kompetenzzentrums Nanoanalytik entwickelt, in Zusammenarbeit mit der Fernsehredaktion der Sendung "Quarks&Co” (WDR).

Anwendung: Nicht mehr erhältlicher Schülerbausatz für ehemals ca. 800 €, der die Abbildung der Oberflächenstruktur von leitfähigen festen Materialien erlaubt, allerdings aufgrund seines Aufbaus nicht bis aufs Atom genau.

Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Interface Physics Group,
Wilhelm-Klemm-Str. 10, D-48149 Münster
Internet: http://www.uni-muenster.de

Das eigentliche Rastersondenmikroskop ist nicht sehr groß, allerdings füllen die vollständigen Geräte einen ganzen Raum oder erstrecken sich über mehrere Räume bzw. über mehrere Etagen. Wie kommt das?
Um Messungen mit atomarer Präzision durchzuführen, muss man bei sehr niedrigen Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt bei ca. -273 °C arbeiten, da sich sonst die Nanostrukturen, Moleküle oder Einzelatome zu stark bewegen und nicht sinnvoll messbar sind. Deshalb kommen die Mikroskope in eine riesige Thermoskanne, die mit flüssigem Stickstoff und flüssigem Helium gekühlt wird.
Weiterhin muss im Ultrahochvakuum gearbeitet werden, um die Verschmutzung und Oxidation der atomar glatten Probenoberflächen zu verhindern.

Also werden verschiedene Vakuumkammern benötigt, um die Proben zu reinigen und für die Messung vorzubereiten, sowie verschiedene Apparaturen, mit denen die Proben manipuliert und von Kammer zu Kammer bewegt werden können.
Außerdem müssen die Mikroskope absolut erschütterungsfrei gelagert werden. Ohne Schwingungsisolation würden schon die Schritte des Experimentators oder ein vor dem Haus vorbeifahrendes Auto eine Messung stören. Je nach Anwendung reichen die Maßnahmen zur Schwingungsisolierung von gefederten Aufhängungen bis hin zu Messplätzen mit separaten Fundamenten.
Bei einigen Geräten kann weiterhin ein äußeres Magnetfeld angelegt werden. In diesem Fall kommt dann noch eine große Magnetspule hinzu.

Rasterkraftmikroskopie
Das Prinzip eines Rasterkraftmikroskopes ist denkbar einfach. Die Sonde liegt auf der Probe wie die Nadel eines Schallplattenspielers auf einer Langspielplatte. Die Sonde ist am Ende eines Federbalkens befestigt. Wenn sie über das Oberflächenrelief einer Probe rastert, werden die winzigen Auslenkungen des Federbalkens mit einem Laserstrahl detektiert. Aus der Auslenkung des Federbalkens werden die mikroskopischen Bilder rekonstruiert. Im Gegensatz zu Rastertunnelmikroskopen können Rasterkraftmikroskope prinzipiell jedes feste Material untersuchen, sogar in diversen Umgebungen wie Luft, Gasen oder auch Flüssigkeiten. Messungen können bei unterschiedlichen Temperaturen durchgeführt werden.
Im "Nicht-Kontakt-Modus" wird der Federbalken mit der Sonde in Schwingungen versetzt. Wenn sich die schwingende Sonde der Probe annähert, ändert sich die Schwingungsfrequenz des Federbalkens. Dies geschieht sogar dann, wenn die Sonde noch über der Probe schwingt, sie also nicht berührt. Damit können Veränderungen der Probenoberfläche durch die Sonde ausgeschlossen werden.

Exponat "Rasterkraftmikroskop"

Ausgestellt ist hier das erste an der Universität Hamburg entwickelte und gebaute Ultrahochvakuum- und Niedrigtemperatur-Rasterkraftmikroskop, das in der Lage ist, einzelne Atome sichtbar zu machen. Es wurde von den Physikern Wolf Allers und Alexander Schwarz konstruiert und von der mechanischen Werkstatt gebaut.

Anwendung: Abbildung von Oberflächenstrukturen nichtleitender Materialien bis aufs Atom genau

Universität Hamburg, Fachbereich Physik
Arbeitsgruppe "Rastersondenmethoden" von Prof. Dr. R. Wiesendanger, Internet: http://www.nanoscience.de

Exponat "Portables Rasterkraftmikroskop"

Bei dem Exponat handelt es sich um ein portables Rasterkraftmikroskop, das Strukturen erkennen kann, die nur wenige Nanometer groß sind.

Anwendung: Es ergeben sich vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in Wissenschaft und Industrie. Da der eigentliche Messvorgang rein mechanisch ist, können nichtleitende Proben (z. B. biologisches Material in wäss-rigen Lösungen) untersucht werden.

Nanosurf AG, Instruments for Nanoscience
Grammetstraße 14, 4410 Liestal, Schweiz
Internet: http://www.nanosurf.ch

Exponat "Sonden- bzw. Federbalken-Wafer"

Sonden für die Rasterkraftmikroskopie lassen sich auch in Serie anfertigen. Dies geschieht – ähnlich wie bei Computerchips – auf sogenannten Wafern.

Anwendung: Abbildung von Oberflächenstrukturen nichtleitender Materialien bis aufs Atom genau

NANOSENSORS
Rue Jaquet-Droz 1, 007 Neuchatel, Schweiz
Internet: http://www.nanosensors.de

Exponat "Einzelne Sonden eines Rasterkraftmikroskops"

Unter einem optischen Mikroskop kann der Besucher eine Sonde für Rasterkraftmikroskope betrachten und bekommt so ein Gefühl für die feinen Strukturen dieser "Nano-Finger". Man sieht nur den Federbalken, die eigentliche Sonde ist für das optische Mikroskop viel zu klein, um sie darzustellen.

NANOSENSORS, Rue Jaquet-Droz 1, 007 Neuchatel, Schweiz
Internet: http://www.nanosensors.de

Steuerung mit atomarer Präzision
Alle Rastersondenmethoden haben gemeinsam, dass sie die Messsonde mit atomarer Präzision auf der Probe positionieren können.

Dieses kleine Wunder gelingt mit Motoren aus Piezo-Material. Solche Kristalle lassen sich mit einer elektrischen Spannung kontrolliert verformen oder sie erzeugen bei Einwirkung einer mechanischen Kraft eine elektrische Spannung.

In den meisten Rastersondenmikroskopen gibt es zwei Sorten solcher Nanomotoren: sogenannte "Walker" zur Grobjustierung und "Röhrenscanner" für kleinere, noch präzisere Bewegungen.

Ein "Walker" ist eine Röhre, in der kleine Piezo-Beinchen befestigt sind. Diese Beinchen halten einen Saphirstab mit dreieckigem Querschnitt fest. Für jeden Schritt, den der Motor macht, werden zuerst alle Piezo-Beinchen nacheinander ausgelenkt. Anschließend kehren sie alle gleichzeitig in ihre Ruhelage zurück und tragen den Saphir so ein Stück voran.
Für die Grobannäherung "kriecht" der Saphirstab, von den Piezo-Beinchen getragen, Schritt für Schritt nach oben bzw. unten. Je nach Konstruktion des Mikroskops ist am Ende des Saphirstabes die Probe oder die Sonde befestigt.

Das Herz eines Rastersondenmikroskops ist der Röhrenscanner. Das ist Piezo-Material in Form einer Röhre mit einer Innenelektrode und einer in vier Quadranten aufgeteilten Außenelektrode. Durch eine elektrische Spannung zwischen der Innen- und den Außenelektroden wird die Röhre gestreckt oder gestaucht. Eine Seite des Scanners kann gedehnt und die andere Seite gestaucht werden, wodurch sich der Scanner verbiegt. Auf diese Weise kann die Sonde oder die Probe auf den Bruchteil eines Atomdurchmessers genau positioniert werden, und zwar in allen drei Raumrichtungen.

Atom-Manipulation:
Rastersondenmikroskope als Werkzeug
Rastersondenmikroskope können einzelne Atome und Moleküle nicht nur abbilden, sie können sie auch bewegen. Dabei gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Atome oder Moleküle können in eine Oberfläche gedrückt oder wie mit einem Kran an einer Stelle angehoben und an einer anderen definierten Stelle wieder abgesetzt werden. Die aufsehenerregendsten Experimente gelangten hier dem amerikanischen Physiker Don Eigler. Schon 1991 verblüffte er die Weltöffentlichkeit, als er mit 35 Xenonatomen den Schriftzug "IBM" erzeugte. Der kleinste Zwerg der Welt entstand aus 28 Kohlenmonoxid-Molekülen auf einer Platinoberfläche. Im Jahr 2013 veröffentlichte IBM mit "A Boy And His Atom" den kleinsten Film der Welt.
Da es möglich ist, einzelne Atome hin- und herzuschieben, kann man künstliche Strukturen z. B. für die Nano-Spintronik, konstruieren. Aber ist es auch möglich, auf diese Weise neue Moleküle Atom für Atom zu bauen? Tatsächlich ist es bereits gelungen, mit einem Rastertunnelmikroskop eine komplette chemische Reaktion durchzuführen.